Kurzvideos erschweren das Lernen

tagesschau10 Dilihat

Kurze Lernvideos auf Social Media erzielen täglich Millionen Klicks. In zwei Studien der TU Braunschweig ist jetzt der Lerneffekt dieser Erklärvideos getestet worden – das Ergebnis ist ernüchternd.

Unterhaltsame Wissensvermittlung in maximal einer Minute: Erklärvideos auf Social Media versprechen, auch spröden Lernstoff schnell und interessant zu präsentieren. Thorsten Otto vom Institut für Pädagogische Psychologie an der Technischen Universität Braunschweig will den bewussten Umgang mit den neuen Medien fördern.

Deshalb hat er in zwei Experimenten untersucht, welchen Effekt Kurzvideos auf den Lernerfolg haben. "Die visuellen Informationssnacks fördern eine oberflächliche Lernstrategie", fasst der Psychologe die Ergebnisse seiner gerade erschienenenStudiezusammen. Tiefergehendes Nachdenken und nachhaltig verankertes Wissen erzeugte der Videokonsum indes nicht.

Der Psychologe hat untersucht, ob und wie sich digitale Medien im Unterricht und beim Lernen sinnvoll einsetzen lassen. Die bunten Bildschnipsel mit einer Länge von zehn bis 60 Sekunden sind einfach konsumierbar.

Im Online-Experiment wurde der Lerneffekt von Erklärvideos mit dem Lernergebnis von Textinformationen verglichen. 120 Studierende erhielten dafür wortgleiche Wissensinhalte, eingeteilt in vier Gruppen. Zwei Gruppen sahen diese Informationen in Textform, die beiden anderen Testgruppen schauten sich stattdessen eine Sammlung von insgesamt drei Kurzvideos im Stil von TikTok und Instagram an. Beim anschließenden Wissensquiz und besonders bei komplexeren Anwendungsaufgaben zeigten sich deutliche Unterschiede: Insgesamt schnitten die Teilnehmer, die die Videos gesehen hatten, schlechter ab.

Otto schränkt ein, dies sei die erste wissenschaftliche Studie zu diesem Thema. Weitere Forschung sei nötig, um ihre Ergebnisse zu bestätigen und mögliche Ursachen für die unterschiedlichen Lerneffekte genauer zu untersuchen.

Die Einteilung Lernender nach Lerntypen hat keine wissenschaftliche Grundlage.mehr

Für eine andere Studie von Thorsten Otto wurden 170 Erwachsene zu ihrem Kurzvideokonsum und zu ihren Lernzielen befragt. Zudem sollten sie ihre Kompetenz beim rationalen Denken einschätzen. Tatsächlich schätzten die Studienteilnehmer, die viele Kurzvideos zum Lernen nutzen, auch ihre Fähigkeit zum logischen Denken vergleichsweise schlecht ein.

Der anschließende Wissenstest ergab: Testpersonen mit einem hohem Videokonsum erzielten schlechtere Ergebnisse. Das Ergebnis entspricht der aktuellen Studienlage, allerdings erlauben sie keinen Rückschluss von Ursache und Wirkung. "Es könnte auch genauso gut sein, dass Personen, die eben schlechter in solchen Test abschneiden, eher dazu tendieren, Kurzvideos zu nutzen."

Dieses Ergebnis hält Klaus Zierer, Professor für Schulpädagogik an der Universität Augsburg, für wichtig. Der Bildungsforscher betont, es gebe bereits wissenschaftlich begründete Zweifel am pädagogischen Nutzen von Multimedia im Unterricht, sofern diese von Lehrkräften nicht gezielt und begrenzt eingesetzt würden. "Die neue Studie zeigt jetzt bei Erklärvideos, wie bereits ähnliche Forschungsarbeiten, dass das Videoschauen die Lernleistung nicht steigert, sondern, im Vergleich zum Lesen eines klassischen Textes, sogar reduziert."

Sein Fazit: Digitale Medien können bewährte Lernformen, wie eine Textlektüre und Unterrichtsgespräche, nicht ohne Weiteres ersetzen. Sie können auch nicht die Unterrichtsqualität verbessern, es sei denn im Rahmen eines pädagogischen Konzepts.

Studienautor Otto bekräftigt: Beim passiven Anschauen entwickelten die Video-Nutzer im Experiment kein Tiefenverständnis, wie es beim Lesen eines Textes entstehe.

Etwas mit der Hand, Stift und Papier aufzuschreiben, hat viele Vorteile: Kinder lernen leichter Lesen und Schreiben – und auch Erwachsene können sich Dinge leichter merken.mehr

Ein weiteres Ergebnis: Bereits das dreiminütige Anschauen einer Sammlung von Kurzvideos führte bei den Studienteilnehmern zu einer Präferenz für einen oberflächlichen Lernansatz. Diese so bezeichnete Lernstrategie beruht auf einem möglichst geringen Aufwand – Inhalte werden auswendig gelernt, ohne sie wirklich durchdringen oder verstehen zu wollen. Das Problem: Wer so lernt, erzielt laut Bildungsforschung oft schlechtere Leistungen.

Die geringeren Lerneffekte der Videonutzung erklärt Studienautor Otto mit der "Cognitive Theory of Multimedia Learning" und einer mentalen Überforderung beim passiven Konsum. Demnach gelingt Lernen am effektivsten, wenn Informationen in einem ausgewogenen Verhältnis über unterschiedliche Kanäle – visuell und auditiv – präsentiert werden, ohne die begrenzten kognitiven Ressourcen zu überlasten. Beim Ansehen von Kurzvideos fehlt die nötige Zeit um das neue Wissen mit bereits Bekanntem zu Verknüpfen.

Dazu kommt, laut Otto: "Visuelle Reize durch schnelle Bildwechsel und Einblendungen in Kurzvideos können das Arbeitsgedächtnis überfordern und die Inhalte nicht mehr verarbeitet und langfristig gemerkt werden."

Studienleiter Otto empfiehlt deshalb eine aktive und kritische Auseinandersetzung mit Kurzvideos – vor allem, wenn sie in der Schule eingesetzt werden. Vor und nach dem Lernen sollten Schülerinnen und Schüler auf Kurzvideokonsum verzichten, damit sie Lerninhalte durchdenken und besser im Gedächtnis verankern können. Studien zeigten, dass auch die Konzentration leide, sobald ein Handy beim Lernen greifbar sei.

Dieses Thema im Programm:Über dieses Thema berichtete Bayern 2 "Die Welt am Abend" am 26.06.2025 um 17:04 Uhr.

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