Einen echten Kriminalfall interaktiv lösen – das bieten jetzt auch Escape-Rooms. In Hamburg können Teilnehmende den Fall des Serienmörders Honka erleben. Ein schwieriger Spagat zwischen Gedenken und Geschäft.
"Ich habe so eine morbide Begeisterung für Serienkiller und Massenmörder, weil man da in so krasse, tiefe menschliche Abgründe guckt", sagt Joni und grinst. Die Hamburgerin und ihre Freunde sind True-Crime-Fans. Sie machen zum ersten Mal die Escape-Tour über Fritz Honka auf St. Pauli.
Auf einem Tablet meldet sich Kommissar Hansen zu Wort. Er ist fiktiv – der Fall, den er begleitet, ist es nicht. Der digitale Ermittler führt die Teilnehmenden durch Hamburgs Straßen, vorbei an Kneipen und Gassen. Das Ziel: einen realen Mordfall lösen und den Täter spielerisch identifizieren.
Die Tour trägt den Titel "Fritz Honka – Der Frauenmörder von St. Pauli" und wird seit einem Jahr von dem Anbieter "Mindhunters" als Outdoor-Escape-Tour vermarktet. Teilnehmende müssen fotografierte Kleidungsstücke der Opfer alphabetisch sortieren, Hinweise entschlüsseln und Orte aufsuchen, an denen der Täter sich aufhielt. Am Ende wartet – wie bei jedem Escape-Room – die Auflösung.
Doch während die einen den Abend als spannende Freizeitbeschäftigung erleben, sehen andere darin eine fragwürdige Form der Unterhaltung auf Kosten realer Opfer.
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Fritz Honka lebte im Hamburger Stadtteil Ottensen. 1975 entdeckte die Feuerwehr nach einem Wohnungsbrand Leichenteile hinter einer Wand. Die Opfer: Gertraud Bräuer, Anna Beuschel, Frieda Roblick und Ruth Schult. Alle vier arbeiteten als Gelegenheitsprostituierte. Ihr Verschwinden war lange Zeit unbemerkt geblieben.
Honka wurde wegen verminderter Schuldfähigkeit zu 15 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt und starb 1998 an einer Herzschwäche und einer Asthmaerkrankung. Der Fall geriet später wieder in den Fokus – durch Heinz Strunks Roman "Der goldene Handschuh" und die gleichnamige Verfilmung.
Ein Gedenkstein auf dem Ohlsdorfer Friedhof in Hamburg erinnert an die Opfer von Fritz Honka.
Die Tour beginnt im "Goldenen Handschuh" – jener Kneipe auf St. Pauli, in der Fritz Honka seine späteren Opfer kennenlernte. Der heutige Wirt Jörn Nürnberg ließ vor mehreren Jahren ein Schild mit der Aufschrift "Honka-Stube" über dem Eingang anbringen, um die historische Verbindung sichtbar zu machen. Seitdem ist das Lokal zur Pilgerstätte für True-Crime-Fans geworden. Touristinnen und Touristen posieren regelmäßig davor. Das Schild gilt als beliebtes Fotomotiv.
Neben der Davidwache, der Herbertstraße und dem Fischmarkt gehört auch der Hans-Albers-Platz zur Route. Diese Station stützt sich auf einen spekulativen Bezug: Angeblich, so erklärt der fiktive Kommissar in der Tour, habe sich Honka bei seinen Taten an dem Lied "Auf der Reeperbahn nachts um halb eins" orientiert. Einen Beleg dafür gibt es nicht.
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Die Hamburger Tour ist kein Einzelfall. In Pasadena, Kalifornien, wird ein noch drastischeres Erlebnis angeboten: ein Escape-Room am realen Tatort des sogenannten Lamb Funeral Home – ein ehemaliges Bestattungsinstitut, in dem David Sconce in den 1980er-Jahren Leichen verstümmelte, illegale Massenkremationen durchführte und sogar Auftragsmorde für konkurrierende Beerdigungsunternehmen organisiert haben soll.
Besucherinnen und Besucher durchqueren den Einbalsamierungsraum, das Kühlhaus, einen düsteren Keller, das sogenannte "Asche-Zimmer" und weitere Räume, die bislang nie öffentlich zugänglich waren. Überall finden sich Artefakte aus der Vergangenheit des Hauses. Die Website wirbt mit der Frage: "Schaffst du es rechtzeitig aus dem Escape-Room – oder bist du das nächste Opfer von David Sconce?" Auch dort: ein echtes Verbrechen als Kulisse für Erlebnisangebote, das Tausende Besucherinnen und Besucher anzieht.
Der Leiter der Hamburger Tour zu Fritz Honka, Mats Meißner, betont, es gehe um Aufklärung. Die Tour schließe mit einem Moment des Innehaltens, sagt er: "Die ethische Frage steht da im Vordergrund. Deswegen haben wir uns überlegt, die Opfer in den Fokus zu stellen und nicht den Täter. Ich verweise am Ende der Tour darauf, wer die Opfer waren."
Drei Mal während der Tour werden die Namen der Opfer genannt – aber nur jeweils drei. Eine der Frauen bleibt namenlos. Inwieweit die Nennung am Ende der Tour eine ethische Aufarbeitung darstellt, bleibt fraglich.
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Mark Benecke, Kriminalbiologe und einer der bekanntesten True-Crime-Experten im deutschsprachigen Raum, sieht vor allem psychologische Gründe: "True Crime erlaubt den Blick ins Extreme – aber aus sicherer Entfernung." Viele Menschen würden nach einer Erklärung für das Unvorstellbare suchen. Dabei gehe es nicht unbedingt um Voyeurismus, sondern auch um Kontrolle: "Man will verstehen, um sich sicherer zu fühlen."
Benecke spricht von einer "sozial verträglichen Form der Angstbewältigung". Die Beschäftigung mit realen Fällen helfe vielen, ihre eigene Welt besser einzuordnen – solange das tatsächliche Geschehen nicht verzerrt oder romantisiert werde. Bei aller Faszination für das Abgründige sei entscheidend, wie ein Fall präsentiert werde, ob als Teil einer ernsthaften Auseinandersetzung oder zur bloßen Unterhaltung.
Die Fritz-Honka-Tour in Hamburg kostet 32 Euro pro Person. Sie – ebenso wie der Escape-Room in Kalifornien – zeigt, dass sich auch mit realen Kriminalfällen ein Geschäftsmodell entwickeln lässt.
Joni und ihre Freunde lösen nach zwei Stunden den Fall und haben Honka als Täter identifiziert. Mit dem Tablet wird zum Abschluss ein Gruppenfoto aufgenommen. Für die Freunde ist klar: "Es ist krass, dass da Menschen gestorben sind und dass man das dann als Spiel so recherchiert, aber ob man diese Tour dann machen möchte, muss meiner Meinung nach jeder für sich selbst entscheiden."