Wenn Familien nicht mehr zusammengeführt werden

Die Bundesregierung will den Familiennachzug für Geflüchtete mit eingeschränktem Schutzstatus aussetzen. Für viele würde das die jahrelange Trennung von ihren Angehörigen bedeuten – mit sozialen und psychischen Folgen.

Youlia sitzt still an einem runden Tisch im Behandlungsraum, die Hände unter dem Kinn gefaltet, die Augen aufmerksam auf die Trainerin gerichtet. Vor ihr steht ein CD-Player. Sobald ein Satz ertönt, spricht sie ihn vorsichtig nach. Jeder Laut ist eine kleine Herausforderung, jeder Ton ein Stück neue Welt.

Die Neunjährige ist gehörlos geboren, stammt aus dem Norden Syriens, an der Grenze zur Türkei. In Deutschland erhält sie ein Cochlea-Implantat. Mit der elektronischen Hörprothese hört sie ihre Umwelt, lernt sprechen – auf Deutsch. Ihre Muttersprache Kurdisch versteht sie nicht.

Youlias Vater Abdulaziz Hesso will ihr eine Zukunft ermöglichen: Sicherheit, medizinische Versorgung, Schulbildung. All das ist in Syrien derzeit kaum möglich.

2022 flohen die beiden nach Deutschland – über die Türkei, das Mittelmeer, den Balkan. Mehr als einen Monat lang sind sie unterwegs. Seine Frau und zwei Söhne ließ Abdulaziz zurück. Zu gefährlich sei die Flucht, sagt er.

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Heute leben Vater und Tochter in Braunschweig. Abdulaziz ist gelernter Ingenieur für Maschinenbau. In Deutschland besucht er einen Sprachkurs. Youlia geht in die zweite Klasse.

Die beiden sind ein eingespieltes Team, doch der Alltag fällt ihnen schwer. "Ohne Familie ist das kein Leben", sagt Abdulaziz. Seine Tochter habe oft Angst, könne nachts nicht schlafen. Auch er sei innerlich zerrissen.

Abdulaziz und Youlia gelten hier als subsidiär schutzberechtigt: Das heißt, sie haben keinen vollen Asylstatus, dürfen aber vorerst bleiben, weil ihnen in ihrer Heimat konkrete Gefahren für Leib und Leben drohen. Den Antrag auf Familiennachzug hat er vor zwei Jahren kurz nach seiner Ankunft in Deutschland gestellt.

In einem aktuellen Gesetzentwurf der Bundesregierung ist nun vorgesehen, den Familiennachzug für diese Gruppe von Menschen zunächst für zwei Jahre zu stoppen. Ziel sei es, irreguläre Migration zu begrenzen und Anreize für Fluchtbewegungen zu verringern. Man wolle die Kommunen bei der Aufnahme von Flüchtlingen entlasten, heißt es.

So wie Abdulaziz lebten Ende 2024, etwa 381.000 Menschen mit subsidiärem Schutzstatus in Deutschland. Im selben Jahr wurden rund 12.000 Visa für Angehörige dieser Gruppe im Rahmen des Familiennachzugs erteilt. Im bisherigen Verlauf von 2025 sind bislang etwa 5.000 Visa vergeben worden.

Laut Bundesregierung warteten zum Stichtag 19. Februar 2025 knapp 2.800 Menschen mit subsidiärem Schutz auf ihrer zentralen Warteliste für den Familiennachzug – eine Zahl, die Mehrfachanmeldungen enthalten könnte. Die meisten Anträge stammen aus Ländern wie Syrien, Somalia, Jemen, Afghanistan und Eritrea, sowohl 2024 als auch in diesem Jahr, so das Auswärtige Amt.

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Fachleute aus der Migrationsforschung  bewerten die geplante Regelung kritisch. Jochen Oltmer, Professor für Migrationsgeschichte an der Universität Osnabrück, verweist darauf, dass der Familiennachzug für subsidiär Schutzberechtigte ein legaler Zugang sei und damit keine irreguläre Migration fördere. Vielmehr würde durch die Aussetzung ein legaler Weg erschwert oder ganz blockiert.

Dem Argument der kommunalen Überlastung entgegnet der Migrationsforscher mit Ergebnissen aktueller Befragungen. Diese zeigen ein differenziertes Bild, so Oltmer.

Einige Kommunen berichten von zusätzlichen Anforderungen, viele sprechen lediglich von moderater Belastung, andere wiederum sehen kaum Auswirkungen. Pauschal von einer flächendeckenden Überlastung zu sprechen, sei laut Oltmer daher nicht gerechtfertigt.

Abdulaziz Hesso telefoniert täglich mit seiner Frau und den beiden Söhnen und verspricht ihnen, dass es nicht mehr lange dauern wird. Die Nachricht über den geplanten Stopp des Familiennachzugs habe auch bei ihnen Verunsicherung ausgelöst, sagt er.

Seine Familie fühle sich im Stich gelassen – vom Vater ebenso wie von der deutschen Politik. "Drei Tage lang haben sie nicht mit mir gesprochen", erzählt er. Die Hoffnung, bald wieder vereint zu sein, sei spürbar geschwächt.

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Auch Organisationen wie die Caritas, Diakonie oder Pro Asyl äußern Kritik. Sie verweisen auf mögliche psychische und soziale Belastungen insbesondere bei Kindern, die über längere Zeit von ihren Familien getrennt bleiben. Außerdem sei der bürokratische Aufwand beim Familiennachzug ohnehin hoch, die Wartezeiten beträfen viele Schutzsuchende bereits jetzt.

Solche Trennungen können zu erhöhtem Stress, Ängsten und Integrationsproblemen führen. Das zeigen Studien, die unter anderem von derRobert Bosch Stiftung,derBerliner Charitéund demSchweizerischen Roten Kreuzdurchgeführt wurden.

Zudem verweisen die Organisationen auf Artikel 6 des Grundgesetzes, der Ehe und Familie unter besonderen Schutz stellt – ein Verfassungsgebot, auf das sich gerade auch die Union immer wieder beruft, wenn sie den besonderen Wert der Familie betont.

Die Debatte ist nicht neu: Bereits zwischen 2016 und 2018 war der Familiennachzug für subsidiär Schutzberechtigte zeitweise ausgesetzt worden. Seitdem regelt ein monatliches Kontingent von 1.000 die Zahl der zugelassenen Nachzüge.

Die aktuelle Diskussion zeigt ein Spannungsfeld zwischen individuellen Schutzansprüchen und migrationspolitischer Steuerung. Während Befürworter der geplanten Aussetzung eine Begrenzung von Migration im Blick haben, verweisen Kritiker auf integrationspolitische und humanitäre Aspekte.

Für Youlia ist Deutschland zur neuen Heimat geworden, auch wenn ihr die Umarmung ihrer Mutter, das gemeinsame Spielen mit den Brüdern fehlen.

Ende Juni soll der Bundestag über den Gesetzesentwurf entscheiden. Für Familien wie die von Abdulaziz und Youlia bedeutet das vor allem eines: weiter warten. Wann sie wieder vereint sein können, bleibt offen.

Männer nach Angriff auf SPD-Wahlkämpfer zu Haftstrafen verurteilt

Ein brutaler Angriff auf Wahlkampfhelfer der SPD in Berlin machte im Dezember bundesweit Schlagzeilen. Nun sind vier mutmaßliche Neonazis wegen gefährlicher Körperverletzung zu Haftstrafen verurteilt worden.

Gut ein halbes Jahrnach einer Attacke auf SPD-Mitgliederim Bundestagswahlkampf in Berlin sind am Donnerstag vier mutmaßliche Neonazis aus Sachsen-Anhalt zu Freiheitsstrafen verurteilt worden. Das Amtsgericht Tiergarten verhängte gegen sie Haftstrafen zwischen einem Jahr und neun Monaten sowie zwei Jahren und acht Monaten.In zwei Fällen soll in einem halben Jahr darüber entschieden werden, ob die Jugendstrafen zur Bewährung ausgesetzt werden können. Sie bleiben so lange auf freiem Fuß.

Die 17 bis 20 Jahre alten Männer hätten sich unter anderem der gefährlichen Körperverletzung schuldig gemacht, hieß es. "Alle vier waren an den Taten beteiligt", sagte der Vorsitzende Richter Gregor Kaltenbach. Es gebe keinen Zweifel, dass sie die Opfer aus ihrer politischen Gesinnung heraus attackiert hätten.Die jungen Männer, die in Berlin eigentlich an einer Demonstration des rechten Spektrums teilnehmen wollten, hatten laut Anklage am 14. Dezember 2024 gegen 12 Uhr an einer Bushaltestelle in Berlin-Lichterfelde Eheleute attackiert, die rote Mützen mit SPD-Logo trugen. Der 50-jährige Mann sei durch Tritte und Schläge mit Springerstiefeln auch gegen den Kopf verletzt worden. Als Polizisten eintrafen, seien auch diese attackiert worden.Die Staatsanwältin sagte in ihrem Plädoyer, es habe sich eindeutig um eine politisch motivierte Tat gehandelt. Sie beantragte Jugendstrafen zwischen zweieinhalb und drei Jahren und vier Monaten. Zwei Verteidiger plädierten auf Bewährungsstrafen, einer auf eine Verwarnung, der Anwalt eines 17-Jährigen forderte Freispruch. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Sendung: rbb24 Inforadio, 19.06.2025, 15:30 Uhr

Greenpeace warnt nach Brand von Öltanker vor Umweltfolgen

Nach dem Zusammenstoß zweier Öltanker im Golf von Oman warnt Greenpeace vor einer Umweltkatastrophe. Eines der betroffenen Schiffe soll zur russischen Schattenflotte gehören. Die Tanker sollen zusammen 370.000 Tonnen Rohöl geladen haben.

Die Umweltorganisation Greenpeace warnt nach dem Zusammenstoß von zwei Öltankern im Golf von Oman vor verheerenden Folgen für die Umwelt. Satellitenbilder zeigten nach Angaben der Umweltschutzorganisation heute einen "großen Ölteppich", der sich bis zu 1.500 Hektar um die Unglücksstelle erstrecke.

"Eine Ölpest, wie sie jetzt dem Golf von Oman droht, betrifft nicht nur einzelne Tierarten, sondern das ganze Meeresökosystem", sagte Thilo Maack, Meeresbiologe von Greenpeace, der Nachrichtenagentur dpa.

Delfine, Meeresschildkröten und Küstenvögel reagieren laut dem Experten besonders empfindlich auf das giftige Öl. "Fischlarven und anderem Plankton, Grundlage der marinen Nahrungskette, droht ebenfalls ein Massensterben", sagte Maack.

Nach Angaben Russlands liefen aus beiden Tankern bisher rund 2.400 Tonnen Schweröl aus.mehr

Iranische Medien berichten am Dienstagmorgen über einen Sicherheitsvorfall im Golf von Oman. Mehrere Öltanker sollen unweit der Küste der Vereinigten Arabischen Emirate in Brand geraten sein, berichtete der staatliche iranische Rundfunk. Ein Zusammenhang mit dem Krieg zwischen Israel und Iran bestätigte sich nicht.

Nach Angaben des Energieministeriums der Vereinigten Arabischen Emirate sei der Grund für die Kollision ein Navigationsfehler eines der beiden Schiffe gewesen. Der Zusammenstoß habe "leichte Schäden an den Außenhüllen beider Schiffe, einen kleinen Ölaustritt und einen Brand" verursacht, erklärte das Ministerium.

Die Nationalgarde der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) gab an, 24 Menschen von einem beschädigten Öltanker evakuiert zu haben. Über Verletzte ist nichts bekannt.

Mit 16 Sanktionspaketen versucht die EU, Russland zu schaden. Heute sollen weitere Sanktionen hinzukommen.mehr

Der beteiligte Tanker "Adalynn" gehört laut der Umweltorganisationzur sogenannten russischen Schattenflotte.Das 23 Jahre alte Schiff steht unter einem früheren Namen auf der im vergangenen Jahr von Greenpeace veröffentlichten Liste der weltweit gefährlichsten Tanker.

Thermische Satellitendaten der NASA zeigten Brände auf See etwa 40 Kilometer entfernt von der Küste zu den Vereinigten Arabischen Emiraten. Laut Schätzungen von Greenpeace hat ein Tanker 70.000, der andere 300.000 Tonnen Rohöl geladen.

Kommentar: Trump steckt in der Iran-Zwickmühle

Krieg oder kein Krieg? US-Präsident Trump hat sich außenpolitisch in eine schwierige Lage manövriert.Will er sein Gesicht wahren, ist ein Einsatz im Iran unumgänglich. Doch damit droht ein "endloser Krieg".

Die US-amerikanische Diplomatie ist unter Präsident Donald Trump auf einem neuen Tiefpunkt angekommen. Er hat sich in eine ausweglose Lage manövrieren lassen mit der möglichen Folge eines neuen Krieges im Nahen Osten. In der vergangenen Woche ließ der US-amerikanische Präsident die massiven Angriffe Israels auf den Iran einfach geschehen – und versuchte sie dann umzumünzen als Druckmittel gegen den Iran.

Eigentlich wollte Trump keinen militärischen Konflikt, sondern ein Abkommen mit dem Iran über das Atomprogramm. Die israelischen Attacken haben den gewünschten Deal unerreichbar gemacht. Gesichtswahrend kommen die USA aus der Nummer nur wieder heraus, wenn sie tatsächlich militärisch agieren.

Denkbar ist eine gezielte Aktion, um die unterirdischen Atomanlagen im Iran auszuschalten. Um das zu schaffen, reicht der Einsatz der bunkerbrechenden Megabombe nicht aus. Spezialkräfte müssten dazu auch auf iranischem Boden operieren. In jedem Fall wird der Iran mit allen noch verbliebenen Kräften zurückschlagen und die im Nahen Osten stationierten US-Amerikaner ins Visier nehmen.

Die "Sache erledigen", wie es die republikanischen Falken, die Hardliner, fordern, lässt sich nicht mit einigen Luftangriffen, wie Trump sich das vielleicht wünscht. Der Präsident könnte also in einen dieser "endlosen Kriege" schlittern, für die er seine demokratischen Vorgänger im Wahlkampf beschimpft hat.

Trump ist jetzt fast ein halbes Jahr wieder im Amt und steht außenpolitisch komplett mit leeren Händen da. Sein großspuriges Versprechen eines Blitz-Friedens in der Ukraine ist weiterhin ein nicht eingelöstes. Zur humanitären Katastrophe im Gazastreifen ist sein Beitrag, doch eine "Riviera" im Mittelmeer auf den Ruinen zu errichten – ein zynischer Vorschlag.

Was Trump allerdings geschafft hat, ist der Abschied aus der internationalen Diplomatie. Der G7-Gipfel in Kanada hätte die Chance geboten, eine gemeinsame Initiative für den Nahen Osten zu starten. Doch der Republikaner düpierte lieber den französischen Präsidenten und zog sich in den Situation Room des Weißen Hauses in Washington zurück – offenbar ohne Plan für die Zeit nach einem möglichen Eingreifen im Iran.

Marktbericht: Abwärtstrend im DAX verschärft sich

Die Furcht vor einer weiteren Eskalation im Nahen Osten lässt die Anleger bei Aktien Reißaus nehmen. Der DAX schließt über 1.400 Punkte unter seinem Rekordhoch – und auch die steigenden Ölpreise mahnen zur Vorsicht.

Die Investoren an den Finanzmärkten bleiben nervös – die Unsicherheit über die weiteren Entwicklungen im Nahen Osten ist hoch. Der deutsche Aktienmarkt ist daher auch im Feiertagshandel unter Druck geblieben.

Der DAX verabschiedete sich mit einem Minus von 1,1 Prozent bei 23.057 Punkten aus dem XETRA-Handel. Zum Vergleich: Vor gerade einmal zwei Wochen hatte der deutsche Leitindex noch bei 24.479 Zählern ein Rekordhoch markiert.

Mit dem Rutsch unter die alten Ausbruchsmarken bei 23.300/23.400 Punkten haben sich die mittelfristigen Aussichten für das deutsche Börsenbarometer nunmehr deutlich eingetrübt.

In der kurzfristigen Perspektive verheißt die Tatsache, dass der DAX nahe seines Tagestiefs aus dem Handel gegangen ist, nichts Gutes für den morgigen Handelstag. Zumal der Freitag aus statistischer Sicht geradezu prädestiniert ist für Kursverluste. Hinzu kommt: In der aktuellen geopolitischen Lage könnten einige Investoren davor zurückschrecken, übers Wochenende investiert zu bleiben.

Auf Impulse von der Weltleitbörse in New York mussten die Anleger heute verzichten. An der Wall Street fand kein Handel statt. Die USA begingen wie jedes Jahr am 19. Juni den "Juneteenth" – einen Gedenk- und Feiertag zur Erinnerung an die Befreiung der afroamerikanischen Bevölkerung der Vereinigten Staaten aus der Sklaverei.

Mit Blick auf den morgigen Handelstag bleibt die Lage an den globalen Finanzmärkten angespannt: Anleger befürchten, dass sich die USA an den israelischen Angriffen auf den Iran beteiligen könnten. Einem Bericht der Nachrichtenagentur Bloomberg zufolge bereiten sich die USA auf einen möglichen Angriff auf den Iran in den kommenden Tagen vor.

"Ein solches Szenario würde das Risiko eines größeren regionalen Konflikts erhöhen – mit Auswirkungen auf die globale Energieversorgung und wahrscheinlich auch auf das Wirtschaftswachstum", sagte Kyle Rodda von Capital.com.

Der gestrigeZins-Entscheid der US-Notenbank Federal Reserveließ die Anleger hingegen weitgehend kalt, hatte er doch kaum Überraschungen geliefert: Die Währungshüter tasteten den Leitzins nicht an.

US-Präsident Donald Trump feuerte daraufhin eine weitere verbale Breitseite gegen den Notenbankchef ab. In einem Beitrag auf seiner Online-Plattform Truth Social teilte Trump heute mit: "Jerome Powell kostet unser Land Hunderte von Milliarden Dollar … Wir sollten 2,5 Punkte niedriger liegen." Wenige Stunden vor dem Zinsentscheid hatte Trump den Fed-Chef eine "dumme Person" genannt.

Die US-Notenbank Fed bietet US-Präsident Trump weiter die Stirn und belässt ihren Leitzins unverändert.mehr

Derweil lockerte die Schweizerische Nationalbank (SNB) heute angesichts von Deflationssorgen ihre Geldpolitik erneut und senkte ihren Schlüsselsatz zum sechsten Mal in Folge. Der SNB-Leitzins liegt nun bei null Prozent. "Das Risiko ist hoch, dass die Notenbanker den Leitzins künftig noch in negatives Terrain treiben werden", betonte Brian Mandt von der Luzerner Kantonalbank.

Eine Überraschung für die Märkte hielt unterdessen die die Norwegische Notenbank parat: Sie senkte den Leitzins um 0,25 Prozentpunkte auf 4,25 Prozent und signalisierte eine weitere Lockerung im Jahresverlauf. Viele Experten hatten eine Senkung erst für das nächste Quartal auf dem Schirm. Die norwegische Krone gab nach dem Zinsentscheid zum Euro nach.

Die Bank of England (BoE) hielt indes wie erwartet die Füße still und beließ ihren Leitzins bei 4,25 Prozent.

Die türkische Zentralbank hat ihre wichtigsten Zinssätze heute ebenfalls nicht angetastet. Sie beließ den Schlüsselsatz für kurzfristige Kredite – also Tagesgeld – bei 49,0 Prozent. Experten hatten hier mit einer Absenkung auf 47,5 Prozent gerechnet. Der Leitzins verharrte wie von Ökonomen erwartet bei 46,0 Prozent.

An den Devisenmärkten trieb die Angst vor einer weiteren Eskalation im Nahen Osten die Anleger in den Dollar. Parallel dazu fiel der Euro um 0,1 Prozent auf 1,1467 Dollar. Angesichts der rapide zunehmenden geopolitischen Spannungen kann der Dollar seinen Status als sicherer Hafen allmählich wieder zurückgewinnen.

Gold konnte von der anziehenden Risikoaversion der Anleger dagegen heute nicht profitieren. Die Feinunze Gold kostete am Abend 3.368 Dollar und damit 0,2 Prozent weniger als am Vortag. Anfang der Woche war das als sicherer Hafen beliebte Edelmetall noch bis auf 3.452 Dollar gestiegen.

Unterdessen setzten die Ölpreise ihren Anstieg fort. Der Preis für ein Barrel (159 Liter) der Nordseesorte Brent zog am Abend um 2,5 Prozent auf 78,64 Dollar an. Die Ölpreise hatten sich zuletzt als wichtiger Seismograf für die Ängste der Anleger mit Blick auf den Nahen Osten entwickelt. Schließlich ist der Iran unter den Mitgliedern der Organisation erdölexportierender Länder (OPEC) der drittgrößte Produzent und fördert täglich etwa 3,3 Millionen Barrel Rohöl.

Im Fokus steht aber auch die Straße von Hormus – täglich passieren etwa 20 Prozent des weltweit gehandelten Öls diese Meerenge. Sollte Teheran die Straße von Hormus schließen, so würden enorme Versorgungsengpässe am Ölmarkt entstehen. Das würde die Ölpreise und damit die Inflation weltweit massiv nach oben treiben, was wiederum fatale Folgen für die Aktienmärkte hätte.

Eine Blockade der wichtigen Schifffahrtsroute würde vor allem für den Ölmarkt ein Risiko darstellen.mehr

Unter den Einzelwerten im DAX war die Zalando-Aktie heute mit einem Minus von 4,4 Prozent der mit Abstand größte Kursverlierer. Für das laufende Börsenjahr liegt der Abschlag bereits bei rund 17 Prozent. Händler verweisen auf Unsicherheiten mit Blick auf die Entwicklung des privaten Konsums in Deutschland im zweiten Halbjahr.

Dagegen waren die Aktien von MTU im schwachen DAX ein Lichtblick. Papiere des Triebwerkbauers zogen nach einer Kaufempfehlung der Deutschen Bank gegen den Trend an und markierten bei 376,00 Euro ein Rekordhoch. 2025 sind sie bereits um fast 15 Prozent gestiegen. Noch bemerkenswerter war allerdings die Rally 2024 gewesen, als sich der Kurs in etwa verdoppelt hatte.

Auf der weltgrößten Luftfahrtmesse in Le Bourget bei Paris ist die große Flut an Flugzeugbestellungen ausgeblieben. Der europäische Hersteller Airbus gab von Montag bis Donnerstag zusammen mit seinen Kunden Aufträge und Vorverträge über 250 Maschinen bekannt, von denen ein paar schon vorher angekündigt oder verbucht waren. Der kriselnde Anbieter Boeing aus den USA meldete bis zuletzt keine Bestellung.

Führende deutsche Technologie-Konzerne haben sich nicht auf ein gemeinsames Konzept für eine europäische KI-Gigafabrik einigen können. Daher würden die Deutsche Telekom, der Cloudanbieter Ionos und die IT-Tochter der Schwarz-Gruppe (Lidl, Kaufland) mit konkurrierenden Bewerbungen bei der EU antreten, berichtete der Fachdienst "Tagesspiegel Background Digitalisierung & KI".

Dividendenerhöhung treibt Deutsche Euroshop nach oben

Im SDAX verbuchten Aktien von Deutsche Euroshop ein Plus von 9,0 Prozent. Der Einkaufszentren-Betreiber will eine deutlich höhere Dividende auszahlen. Je Aktie sollen nun 2,65 Euro fließen und damit 1,65 Euro mehr als im Mai angekündigt. Die Anteilseigner sollen bei der Hauptversammlung am 27. Juni darüber abstimmen.

Auch die Medios-Aktie machte mit einem Kurssprung auf sich aufmerksam, sie schnellte um 7,3 Prozent empor. Das Spezialpharmaunternehmen will bis zu einer Million eigene Aktien zurückkaufen. Pro Anteilschein würden 12,50 Euro gezahlt, hatte das Unternehmen gestern Abend mitgeteilt.

Die auch an einer Übernahme der Commerzbank interessierte italienische Großbank Unicredit hat aus Brüssel grünes Licht für den Kauf ihrer Konkurrentin Banco BPM bekommen. Im Gegenzug muss die Unicredit in Italien 209 Bankstandorte veräußern, um Wettbewerbsbedenken auszuräumen. Ob die Unicredit an der Übernahme festhält, ist wegen des Widerstands aus der italienischen Regierung jedoch fraglich.

EuGH-Generalanwältin fordert Milliardenstrafe für Google

Im Rechtsstreit um die marktbeherrschende Stellung von Google bei Smartphones hat sich die Generalanwältin am Europäischen Gerichtshof (EuGH) der Forderung nach einer Milliardenstrafe angeschlossen. Generalanwältin Juliane Kokott empfahl in ihrer nicht bindenden Stellungnahme dem EuGH, die reduzierte EU-Kartellstrafe in Höhe von 4,1 Milliarden Euro gegen Google zu bestätigen.

Die Google-Tochter Waymo hat angekündigt, ihre Robotaxis ab Juli in New York anzubieten – einer Stadt, die für ihre Staus und chaotischen Verkehr berüchtigt ist. Die aktuellen New Yorker Regeln verbieten allerdings den Betrieb fahrerloser Fahrzeuge. Deshalb beantragte Waymo zunächst eine Genehmigung für autonome Fahrten mit Sicherheitsfahrern am Steuer.

Mit Informationen von Angela Göpfert, ARD-Finanzredaktion.

Rutte vor NATO-Gipfel: “Ich bin mir sicher, dass Deutschland liefern wird”

Der NATO-Gipfel in der kommenden Woche hält einige Herausforderungen für Generalsekretär Rutte bereit. Die größte ist wohl, alle Mitgliedsstaaten vom Fünf-Prozent-Ziel zu überzeugen. ImARD-Interview lobt Rutte die Bundesregierung.

In wenigen Tagen beginnt der NATO-Gipfel in Den Haag. Das Programm ist auf das wichtigste Mitglied zugeschnitten: den US-Präsidenten. Kurzer Gipfel, kurze Erklärung, Empfang beim König und wenn möglich noch eine Runde Golf. So soll Donald Trump der Besuch in Europa schmackhaft gemacht werden. Bislang hat er fest zugesagt. Das bestätigte NATO-Chef Mark Rutte in einem Exklusiv-Interview mit derARD.

Große Sorge bereitet dem NATO-Chef die Lage im Nahen Osten. Er sei mit den Verbündeten in ständigem Austausch. Noch gebe keine konkreten Pläne für einen Artikel 5, also den Bündnisfall. Theoretisch könnten die US-Amerikaner beispielsweise den Bündnisfall ausrufen, falls sie vom Iran angegriffen werden.

Der Krieg im Nahen Osten wird auch auf dem NATO-Gipfel Thema sein, die Hauptrolle soll allerdings eine Zahl spielen: Fünf Prozent. Fünf Prozent ihrer Wirtschaftskraft sollen die NATO-Staaten in den nächsten Jahren für ihre Sicherheit ausgeben. Darauf sollen sich alle 32 Mitgliedstaaten verpflichten, so das Ziel des Gipfels.

2014 verpflichteten sich die NATO-Staaten, zwei Prozent ihres BIP für Verteidigung auszugeben.mehr

Eine große Bedeutung kommt dabei auch Deutschland zu, dem zweitgrößten NATO-Mitglied. Das Wort "Schuldenbremse" kommt dem Niederländer Rutte jedenfalls schon fehlerfrei über die Lippen. Man sehe, dass in Deutschland gerade viel passiere, so der NATO-Chef. "Die deutsche Rüstungsindustrie, die zur besten in der Welt gehört, erhöht die Produktion. Das Geld ist da. Ich bin mir sicher, dass Deutschland liefern wird", erklärte Rutte.

Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) und Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) stehen hinter dem Fünf-Prozent-Ziel der NATO. 3,5 Prozent davon sollen für reine Militärausgaben wie Panzer, Drohnen und Abwehrsysteme verwendet werden, der Rest für Brücken, Katastrophenschutz und den Schutz des Internets.

Deutschland will bei den Verteidigungsausgaben mit der Forderung von US-Präsident Trump mitgehen.mehr

In Brüssel wird wenige Tage vor dem NATO-Gipfel in Den Haag noch eifrig gerechnet und gefeilscht. Denn einige Länder sind von diesem Ziel noch so weit entfernt wie eine Frittenbude von einem Sternerestaurant. Belgien, das Heimatland der NATO beispielsweise, liegt heute gerade mal bei 1,3 Prozent. Manche Politiker im Land finden die Mehrausgaben "hysterisch".

Der spanische Regierungschef Pedro Sánchez lehnte eine feste Prozentzahl in einem Brief an den NATO-Chef kürzlich als "übertrieben" ab. Doch für Rutte ist es der einzige Weg, "eine Milliarde Menschen im NATO-Gebiet zu schützen".

Pistorius betonte, es gehe nicht darum, die Zielmarke für die NATO-Ausgaben in einem Jahr zu erreichen.mehr

Bei der NATO ist man zuversichtlich, dass am Gipfeltag alle den fünf Prozent zustimmen werden. Man müsse halt noch ein paar Brücken bauen, über die die Kritiker dann gehen können, heißt es in Brüssel. Eine Brücke könnte die Jahreszahl sein, bis zu der die Aufrüstung erreicht sein muss. Zwischen 2030 und 2035 ist als Zeitrahmen im Gespräch, dann soll die NATO unangreifbar sein.

Der Druck dazu kommt vor allem aus den USA. Seit Jahren tritt Trump den Europäern buchstäblich auf die Füße, endlich mehr für ihre Verteidigung auszugeben. Trump "hasst" die Europäer dafür, dass sie so viel weniger Geld für Verteidigung ausgeben als die USA, so Rutte.

Er unterstützt den Kurs des US-Präsidenten und lobt die Zusammenarbeit mit dem umstrittenen US-Präsidenten: "Wir mögen uns und arbeiten gut zusammen", sagt Rutte über den wichtigsten Bündnispartner. Trump sei "pro NATO".

Nördliche Nachbarn des Iran – Der Krieg nebenan

Der Iran wird nördlich seiner Grenzen als Regionalmacht geachtet und gefürchtet. Der Krieg mit Israel wirkt sich auf die Nachbarn Aserbaidschan und Armenien aus, die geostrategisch eng mit dem Iran verbunden sind.

Gebirgig, rauh und trocken. So zeigt sich der Iran, wenn man von Armenien und Aserbaidschan aus über den Grenzfluss Arax nach Süden schaut. Größe und Einwohnerzahl des Iran gebieten den wesentlich kleineren Nachbarn im Norden Respekt und auch Furcht.

Ein Szenario wie der nun eingetretene Krieg zwischen Israel und Iran war lange befürchtet worden. Handels- und Flugrouten sind unterbrochen. Die ersten Flüchtlinge kommen über die Grenzen. Einwohner berichten, dass sie die Bombeneinschläge im 100 Kilometer entfernten Täbris gehört hätten. Härtere Auswirkungen werden befürchtet, sollte der Krieg andauern und die Lage im Iran vollends instabil werden.

Als Regionalmacht beeinflusst der Iran seit Jahrzehnten das fragile Verhältnis zwischen Armenien und Aserbaidschan. Aber auch umgekehrt beeinflussen die beiden Länder den Iran. Nicht umsonst telefonierte Präsident Massud Peseschkian mit dem Regierungschef Armeniens und dem Präsidenten Aserbaidschans, kaum hatte Israel die ersten Angriffe gestartet.

Aserbaidschan wiederum hatte es eilig, dem Iran eine Botschaft zu vermitteln: "Aserbaidschan wird niemals zulassen, dass sein Territorium für Angriffe auf Drittländer, einschließlich des benachbarten und befreundeten Iran, genutzt wird", versicherte Außenminister Jeyhun Bayramov seinem Amtskollegen Abbas Araghchi.

Als "bewusste Desinformation" wies Präsidentenberater Hikmet Hajiyev Social-Media-Kommentare zurück, wonach Aserbaidschaner als Agenten im Auftrag Israels im Iran tätig seien.

Israels Angriff auf den Iran wurde jahrelang vorbereitet – auch innerhalb des Irans.mehr

Die Beziehungen zwischen Iran und Aserbaidschan sind geprägt von Nähe und Anspannung. Über Jahrhunderte erstreckten sich Imperien über das Gebiet, das heute durch eine Staatsgrenze geteilt ist. Misstrauen nährt sich aus gegenseitigen Gebietsansprüchen und Vorwürfen der Einflussnahme. Vor allem im nördlichen Teil des Iran leben Millionen Aserbaidschaner. Sie stellen mit schätzungsweise 15 Prozent der etwa 90 Millionen Menschen im Iran die größte ethnische Minderheit. Ajatollah Ali Chamenei und Präsident Massud Peseschkian zählen dazu.

Gestärkt wurde das Misstrauen Irans durch die enge Partnerschaft, die Aserbaidschan seit Jahrzehnten mit Israel pflegt. Bereits 1997 vereinbarte Benjamin Netanjahu als Ministerpräsident mit Aserbaidschan. Der Deal: Aserbaidschan liefert vor allem Öl und erhält im Gegenzug Waffen und militärische Kooperation.

Verbindungen zwischen Israel und Aserbaidschan: Was die Eskalation in Nahost für den Südkaukasus bedeutetmehr

Alijew zeigte sich 2021 mit einer israelischen Drohne vom Typ Harop. Er erklärte, dass diese und weitere Drohnen "effektiv" eingesetzt worden seien im Krieg gegen den verfeindeten Nachbarn Armenien ein Jahr zuvor. Transportflüge zwischen Militärflughäfen in Israel und Aserbaidschan ließen sich auch in den Jahren nach dem Krieg nachvollziehen.

Anfang Mai plante Netanjahu einen längeren Besuch bei Alijew in Baku, musste jedoch kurzfristig absagen. In der Jerusalem Post erschien im März ein Kommentar, in dem die aserbaidschanische Minderheit im Iran thematisiert wurde: Sie solle dabei unterstützt werden, sich von der imperialen Zentralherrschaft in Teheran zu befreien. Darüber hinaus setzte sich Israel beim Team von US-Präsident Donald Trump für Aserbaidschan ein. In Baku hofft man unter anderem auf US-Investitionen und Unterstützung im Konflikt gegen Armenien.

Aserbaidschan will sich mit Hilfe seiner Energieressourcen als Mittelmacht positionieren.mehr

Auch der Iran gab der aserbaidschanischen Führung deutliche Signale. Wenige Tage vor dem geplanten Besuch Netanjahus reiste Präsident Peseschkian nach Baku. Auf Aserbaidschanisch trug er ein Gedicht vor, das von kultureller Einheit und trennenden politischen Grenzen handelt. Interpretiert wurde es als Zeichen der Verbundenheit, aber auch als warnender Hinweis auf den Einfluss des Iran auf Aserbaidschan.

Im Mai ging die Führung in Teheran einen Schritt auf Aserbaidschan zu, um das lange Zeit angespannte Verhältnis zu verbessern. Sie ließ Mitte Mai auf Drängen der Führung in Baku einen Mann hinrichten, der 2023 die aserbaidschanische Botschaft in Teheran gestürmt und dessen Sicherheitschef getötet hatte. Damals hatte es auch einen Anschlag auf einen Abgeordneten in Baku gegeben, der als Gegner Irans aufgetreten war. Die aserbaidschanischen Behörden reagierten darauf mit zahlreichen Festnahmen und sprachen von "Sondermaßnahmen", um eine "Destabilisierung des Landes" durch Agenten im Auftrag des Iran zu verhindern.

Schließlich nahmen im Mai iranische Truppen, darunter Revolutionsgarden, an einer Militärübung teil, um die "militärische Zusammenarbeit weiter zu stärken" und das "gegenseitige Vertrauen" zu "vertiefen". Es war ein Zugeständnis an Alijew, denn diese Militärübung fand in Bergkarabach statt.Von dort waren im September 2023 mehr als 100.000 Armenier vor den heranrückenden aserbaidschanischen Streitkräften geflohen.

Das überwiegend islamisch geprägte Aserbaidschan hat ein schwieriges Verhältnis zu seinem Nachbarn Iran.mehr

In dem jahrzehntealten Konflikt steht Iran auf der Seite Armeniens, das ebenfalls eng mit dem südlichen Nachbarn verbunden ist. Der einzige gemeinsame Grenzübergang ist für Armenien und Iran eine wirtschaftliche Lebensader. Befürchtet wird, dass Aserbaidschans Streitkräfte im Schatten des Kriegeswie 2022 ein weiteres Mal in Armenien einmarschiertund diese schmale Verbindung zwischen zum Iran besetzt.

Diese Angst beschäftigt auch viele der schätzungsweise 100.000 armenisch-stämmigen Iraner, die vor allem in Teheran leben. Wer es sich leisten konnte, kaufte sich in den vergangenen Jahren eine Wohnung in der armenischen Hauptstadt Jerewan, um in einer Lage wie der jetzigen den Iran auf dem Landweg verlassen zu können.

In den vergangenen Tagen nahm der Grenzverkehr bereits deutlich zu. Die Hotels in der armenischen Grenzstadt Meghri sind ausgebucht und die Taxifahrer verdoppelten und verdreifachten sogar die Preise für die Fahrt nach Jerewan.

Die Straße von Teheran zur armenischen Grenze ist beschwerlich und führt durch gebirgiges Gelände. Schneller über eine Küstenstraße zu erreichen ist der Grenzübergang Astara nach Aserbaidschan, der rund 500 Kilometer nördlich von Teheran entfernt liegt.

Die aserbaidschanischen Behörden ließen inzwischen zahlreiche Bürger aus Drittstaaten, darunter Deutschland, passieren und zum Flughafen nach Baku transportieren.

Das ist eine Ausnahme. Aserbaidschan hält seine Landesgrenzen für den Personenverkehr seit mehr als fünf Jahren geschlossen, zunächst wegen Corona und zuletzt aus Sicherheitsgründen. Aserbaidschan wird nun noch genauer die Lage an seiner Grenze zum Iran kontrollieren, um eine Destabilisierung infolge des Krieges im Iran zu verhindern. Zu möglichen Szenarien zählen Anschläge auf Militäreinrichtungen und Politiker, auf die Botschaften der USA und Israels oder auch auf die jüdischen Gemeinden in Aserbaidschan.

Iraner suchen im Norden des Iran Schutz vor israelischen Angriffen

Verzweifelt versuchen viele Iraner, vor den israelischen Angriffen zu fliehen. Nur wenige reisen in die Türkei, viele bleiben im Iran und suchen im Norden des Landes Schutz. Dort werden offenbar die Unterkünfte knapp.

Immer wieder kommen kleine Gruppen am Grenztor in Gürbulak in der Türkei an: Frauen, Männer und Kinder aller Altersstufen. Auf den ersten Blick könnten sie Touristen sein. Viele haben einen Koffer dabei, dazu einen Rucksack. Sie wirken etwas verloren. Auf der türkischen Seite warten Fahrer von Minibussen. Sie fragen die Ankommenden, wohin sie wollen.

Einer der Fahrer spricht ein bisschen Farsi. Er kann übersetzen. "Wir bringen Reisende aus dem Iran von hier aus nach Istanbul, Ankara, Izmir, Trabzon und Rize", erzählt er. "Wenn wir die Leute hier fragen, warum sie so zahlreich in die Türkei kommen, sagen sie uns, dass zu Hause Krieg herrscht, dass sie ihre Flugtickets nicht einlösen konnten." Es gebe keine Flüge mehr und deshalb reisen sie per Bus in die Türkei.

Um den Angriffen Israels zu entkommen, flüchten viele Menschen aus dem Iran in die Türkei.mehr

Auch in ruhigeren Zeiten überqueren Iraner hier die Grenze – als Urlauber. Doch jetzt fühlt es sich anders an. Ein älterer Mann hat einen Platz in einem weißen Bus ergattert, zusammen mit seiner Frau. Er lebt in den USA und hat im Iran Verwandte besucht. Bis in der Nähe eine Rakete einschlug.

Er erzählt, dass vor zwei Tagen ein Gebäude in der Nähe angegriffen worden sei. Das ganze Haus habe gebebt. "Es war eine ziemlich schlimme Situation", erzählt er. "Die ganze Familie war in Panik." Die Lage sei angespannt.

Der Iran wird nördlich seiner Grenzen als Regionalmacht geachtet und gefürchtet.mehr

Eine andere Frau hat sich aus Täbris, im Norden des Iran, auf den Weg gemacht. Dort sei es im Moment ruhig, sagt sie. Doch man wisse nie, wie sich die Situation noch entwickle. "Wir haben bislang – Gott sei Dank – keine Opfer zu beklagen", sagt sie. Andernorts sei das anders.

Sie wolle dennoch bald zurückgehen. Sie sei in erster Linie für eine Veranstaltung in die Türkei gereist. "Der Iran ist unsere Heimat", betont sie. Ihren Namen möchte sie nicht nennen. Nur wenige wollen an diesem Grenzübergang mit Journalisten sprechen. Zu groß dürfte die Sorge bei vielen sein, dass sie oder ihre Familien ins Visier der iranischen Sicherheitskräfte geraten.

Deutschland bemüht sich um eine diplomatische Lösung des Krieges zwischen Israel und dem Iran.mehr

Bislang haben sich wenige auf den Weg in die Türkei gemacht. Die Menschen fliehen vor allem aus der Hauptstadt Teheran. Die meisten fahren ans nahegelegene Kaspische Meer. Die eher ländliche Gegend im Norden des Iran ist eine beliebte Urlaubsregion. Doch langsam werden die Unterkünfte knapp, auch wenn der Gouverneur der iranischen Provinz Mazandaran noch erklärt hatte, man könne dort im Notfall zehn Millionen Menschen aufnehmen.

Vor den Bäckereien gibt es lange Schlangen, berichten die Menschen. Die 55-jährige Mandana ist in der iranischen Provinz Gilan untergekommen. Dort könnten allmählich die Lebensmittel knapp werden.

Der Krieg zwischen Iran und Israel besorgt auch die Iraner und Israelis, die in Deutschland leben.mehr

In Teheran sind einige der Geschäfte und Märkte geschlossen, die Preise sind gestiegen. Anderswo geht das Leben fast normal weiter. Engpässe gebe es dort nicht, berichten Iraner und auch nur wenige Menschen würden ihr Zuhause verlassen.

Wie es vor Ort genau aussieht, ist unklar. Immer weniger Nachrichten von Iranerinnen und Iranern schaffen es aus dem Land heraus. Die iranische Führung hat das Internet erst stark gedrosselt, mittlerweile ist es quasi komplett abgeschaltet. Alle Webseiten und Apps, die außerhalb des Landes gehostet werden, sind unzugänglich – auch die für viele so wichtigen Messengerdienste. Die eigene Flucht, eine Unterkunft organisieren oder Verwandte kontaktieren – all das wird immer schwieriger.

Bundesregierung schafft mehr als 200 neue Stellen

Die neue Bundesregierung hat angekündigt, Personal in den Ministerien einzusparen. Jetzt werden erst mal mehr als 200 Stellen geschaffen. Einen Widerspruch will das Finanzministerium nicht erkennen

"Wir werden den Personalbestand in der Ministerial- und Bundestagsverwaltung sowie in bestimmten nachgeordneten Behörden bis zum Jahr 2029 um mindestens acht Prozent reduzieren" – so haben es Union und SPD in ihren Koalitionsvertrag geschrieben.

Doch die Entscheidungen der vergangenen Wochen sprechen eine andere Sprache: Mit dem Digitalministerium wurde die Zahl der Ministerien weiter erhöht, und noch nie gab es eine so hohe Zahl von Parlamentarischen Staatssekretären und Staatsministern wie in der neuen Regierung – während der Bundestag deutlich kleiner wurde.

Nun will Schwarz-Rot kurzfristig noch 208 neue Beamten-Stellen schaffen. Das geht aus einem Schreiben des Finanzministeriums an den Haushaltsausschuss des Bundestags hervor, das demARD-Hauptstadtstudiovorliegt. Die zusätzlichen Stellen seien notwendig, um "die Arbeitsfähigkeit der neu konstituierten Bundesregierung sicherzustellen", heißt es in dem Scheiben, das vom Parlamentarischen Staatssekretär Dennis Rohde (SPD) unterzeichnet ist.

Trotz neuer Spielräume für Investitionen mahnt der neue SPD-Finanzminister zur Haushaltsdisziplin.mehr

Die neuen Stellen haben vor allem mit dem Aufbau des Digitalministeriums zu tun – allein 150 der 208 Stellen sind für das Haus von Minister Karsten Wildberger (CDU) vorgesehen. Unter anderem für die sogenannte "Zentralabteilung", die zum Beispiel für IT- oder Personalfragen zuständig ist. In ähnlicher Form wurden 2021, nach der Entscheidung der Ampelkoalition für die Wiedererrichtung eines eigenen Bauministeriums, kurzfristig neue Stellen geschaffen.

Das Digitalministerium selbst spricht von einer "Anfangsinvestition, die wir jetzt tätigen müssen, die aber in Zukunft helfen wird, Ressourcen einzusparen". Da mit Hilfe des neuen Hauses Bürokratie künftig abgebaut werden soll, müsse das Ministerium "schnell seine volle Schlagkraft entfalten". Die nun angemeldeten Stellen könnten zum überwiegenden Teil mit Mitarbeitern anderer Ministerien besetzt werden, deren Stellen dann künftig frei blieben.

Das Digitalministerium befindet sich noch im Aufbau. Fest steht schon mal: Faxe wird es dort nicht geben.mehr

Darüber hinaus sollen 40 weitere Stellen ins Kanzleramt gehen. 13 davon in die Stabsstelle für den künftigen Nationalen Sicherheitsrat, der laut Koalitionsvertrag insbesondere "die wesentlichen Fragen einer integrierten Sicherheitspolitik koordinieren" soll. Zusätzliche Stellen sind zudem für das Büro der neuen Staatsministerin für Sport und Ehrenamt, die CDU-Politikerin Christiane Schenderlein, vorgesehen.

Schließlich gehören zu dem Paket auch acht Stellen für das neue Büro von Olaf Scholz (SPD), das diesem als Altkanzler zusteht, ähnlich wie seiner Vorgängerin Angela Merkel. Die Zahl der Stellen geht allerdings über Vorgaben des Haushaltsausschusses für Altkanzler hinaus. Begründet wird die Überschreitung damit, dass "aufgrund der zu erwartenden Entwicklung seiner nachamtlichen Tätigkeit" die personelle Unterstützung in dem vorgesehenen Umfang trotzdem erforderlich sei – schließlich sei in Scholz‘ Amtszeit unter anderem der Angriff Russlands auf die Ukraine gefallen.

Altkanzler Gerhard Schröder hatte der Haushaltsausschuss übrigens nach dem Überfall Russlands auf die Ukraineweitere Zahlungen für sein Büro verweigert.

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Das Finanzministerium betont, dass die zusätzlichen Stellen in "finanziell gleichwertigem Umfang durch den Wegfall von derzeit nicht besetzen Stellen" ausgeglichen werden. Soll heißen: Zusätzliche Kosten fallen dadurch nicht an. Allerdings bedeutet das zugleich, dass sich mögliche Einsparungen durch die nicht besetzten Stellen nun erst mal nicht realisieren lassen.

Aus den Reihen der Opposition kommt deutliche Kritik an dem Vorgehen: "Auch die neue Regierung gönnt sich, was Personalausstattung angeht, erstmal einen kräftigen 'Schluck aus der Flasche'", erklärt der AfD-Haushaltspolitiker Marcus Bühl.

Der haushaltspolitische Sprecher der Grünen, Sebastian Schäfer, verweist auf das Versprechen von Kanzler Merz, beim Personal Einsparungen vornehmen zu wollen. "Zusätzliche Staatssekretärsposten, hoch dotierte neue Stellen im Kanzleramt – Bundeskanzler Merz und sein Finanzminister widersprechen im Regierungshandeln ihren Ankündigungen."

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Im Finanzministerium wiederum sieht man keinen Widerspruch zwischen den Zielen der Koalition und den aktuellen Maßnahmen. Man halte an den geplanten Personaleinsparungen fest – die einzelnen Ressorts würden bereits in diesem Jahr ihre Einsparziele "stringent" verfolgen. Für die Arbeitsfähigkeit sei es aber nötig, "teils neue inhaltliche Schwerpunkte umzusetzen und Ressortzuschnitte entsprechend schnell personell abzubilden".

Das heißt aber auch, dass sich erst mit einer gewissen Zeitverzögerung überprüfen lässt, ob die im Koalitionsvertrag vereinbarten Einsparziele trotz des aktuellen Stellenaufbaus erreicht werden. In der Zeit der Ampelkoalition war die Zahl der Stellen in der Bundesverwaltung jedenfalls deutlich gestiegen, besonders im Gesundheitsministerium, dem Wirtschaftsministerium und dem Entwicklungsministerium.

Ministerin Warken will Masken-Bericht geschwärzt in Ausschuss vorlegen

Gesundheitsministerin Warken will den Sonderbericht zu Spahns Maskendeal während der Pandemie nun doch dem Haushaltsausschuss vorlegen. Der Bericht bleibe aber Abgeordneten vorbehalten, Teile würden geschwärzt.

Bundesgesundheitsministerin Nina Warken will denbislang geheim gehaltenen Untersuchungsberichtzur Beschaffung von Corona-Schutzmasken nun doch dem Haushaltsausschuss vorlegen. "Ich habe beschlossen, den Bericht in der kommenden Sitzungswoche dem Haushaltsausschuss des Bundestages offenzulegen. Dazu wird das Papier dem Ausschusssekretariat zugeleitet", sagte die CDU-Politikerin der Rheinischen Post.

Aus Datenschutzgründen würden jedoch Passagen geschwärzt, sagte Warken mit Verweis etwa auf personenbezogene Mitarbeiterdaten und Geschäftsgeheimnisse betroffener Unternehmen. "Das Interesse an Transparenz verstehe ich. Ich würde den Bericht lieber heute als morgen komplett veröffentlichen, darf es aber schlicht nicht", sagte die Ministerin. Das Dokument sei nur für die Abgeordneten gedacht. "Es bleibt als Verschlusssache eingestuft. Noch mehr Transparenz geht leider nicht."

Für den Moment scheint Unionsfraktionschef Spahn die Masken-Affäre nicht zu schaden.mehr

Der unter Verschluss gehaltene Bericht der Sonderermittlerin Margaretha Sudhof befasst sich mit dem Vorwurf zu teurer Maskenkäufe in der Anfangszeit der Corona-Pandemie, als Spahn Gesundheitsminister war.

Sudhof wurde im Sommer 2024 vom damaligen Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) zur Aufarbeitung der Maskenbestellungen eingesetzt. Der Bericht liegt dem Bundesgesundheitsministerium bereits seit Januar vor. Lauterbach hielt ihn dann aber unter Verschluss. "Ich habe ihn wegen des begonnenen Wahlkampfs nicht mehr veröffentlicht",sagte Lauterbach auf Anfrage vonNDR,WDRund Süddeutscher Zeitung (SZ).

Warken ist seit Anfang Mai Gesundheitsministerin, doch auch sie hat den Bericht bisher nicht herausgegeben.WDR,NDRund SZ sagte sie, Datenschutzgründe und Prozessrisiken sprächen dagegen.

Der Sonderbericht zu Masken-Bestellungen nennt schwere Versäumnisse des Gesundheitsministeriums unter Jens Spahn.mehr

Spahn hatte 2020 zu Beginn der Pandemie Lieferanten eine unbegrenzte Abnahme von Masken zu einem Preis von 4,50 Euro pro FFP2-Maske garantiert. Später verweigerte das Ministerium teils die Bezahlung, unter anderem mit Verweis auf fehlerhafte oder verspätete Lieferungen. Letztlich wurde ein großer Teil der Masken nicht benötigt. Lieferanten klagten in den vergangenen Jahren gegen den Bund. Dabei geht es um Hunderte Fälle mit einem Streitwert in Milliardenhöhe.

Außerdem soll Spahn eine Firma aus seiner westfälischen Heimat bei der Logistik der Maskenbeschaffung bevorzugt haben. Der Vorstandsvorsitzende dieses Logistikers ist zudem stellvertretender Landesvorsitzender des CDU-Wirtschaftsrats in Nordrhein-Westfalen.

DerSpiegelberichtet, dass das Gesundheitsministerium auf eine mögliche Schadenersatzklage gegen die von Spahn beauftragte Firma verzichtet hatte – trotz zahlreicher festgestellter Mängel bei der Einlagerung der Masken. Sonderermittlerin Sudhof bemängelte demnach in ihrem Gutachten dazu eine fehlende Aktenlage: Es lasse sich nicht nachvollziehen, "wer aufgrund welcher Erwägungen die Entscheidung traf, dass die Regressüberlegungen ebenso einzustellen sind wie die Überlegungen für einen Vergleich".

Die Beratungsfirma EY, die für den Bund arbeitete, habe die Aussichten auf Schadensersatz zunächst als "überwiegend gut bewertet", stellte Sudhof dem Spiegel-Bericht zufolge fest. Warum der Bund dennoch keinen Schadensersatz von der Logistikfirma eingeklagt hatte, kommentierte das Ministerium demnach nicht.

Der frühere Gesundheitsminister Spahn wehrt sich gegen Vorwürfe zu Maskenbeschaffungen in der Corona-Pandemie.mehr

Insbesondere Grüne und Linke fordern einevollständige Veröffentlichung. Aber auch Spahn selbst. ImBericht aus Berlinsagte er vor wenigen Tagen: "Für mich wäre es aktuell sicher einfacher, wenn der Bericht bekannt wäre." Denn dann käme ans Licht, dass er nichts zu verbergen habe. Er kenne den Bericht nicht. Auch sei er nie von der Sonderermittlerin befragt worden, so Spahn. Er sprach von "subjektiven Wertungen einer einzelnen Person" und verwies erneut auf die damalige Notsituation.

Er sei bereit, sich der Debatte über das Thema zu stellen. Auch sprach er sich dafür aus, sehr zügig eine Enquete-Kommission des Bundestags einzusetzen, "idealerweise" noch vor der Sommerpause. Es sei eine systematische Aufarbeitung der Pandemiezeit nötig.

Auf die Frage, ob der Bericht dem Ex-Gesundheitsminister hätte vorgelegt werden sollen, antwortete Warken der Rheinischen Post: "Alle Abgeordneten müssen dieselben Rechte haben. Ich kann aber nachvollziehen, dass Jens Spahn gern vor der öffentlichen Diskussion über einzelne Passagen des Berichts Kenntnis gehabt hätte." Es sei unverständlich, dass ihm nicht einmal während der Erarbeitung des Dokuments Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben wurde.

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